Division is just an illusion

Vor ein paar Wochen hat eine argentinische „Pilgerin“ bei uns übernachtet. Bei unseren Gesprächen ist unter anderem der Satz „Division is just an illusion“ gefallen. Ich weiß nicht genau warum, aber er hat sich bei mir eingebrannt und ist mir immer wieder in verschiedenen Kontexten eingefallen. Er war mir davor schon mehrfach begegnet und trotzdem war es dieses Mal irgendwie anders.

Vorgestern hatte ich dann meinen „full circle moment“ dazu.
Ich bin in den Schwarzwald wandern gegangen und habe alleine im Wald in einer Hütte/Unterstand übernachtet. Ich habe es sehr genossen, alleine in der Natur zu sein und viel verarbeitet und nachgedacht (siehe letzter Artikel). (Öffnet in neuem Fenster) Alles in allem war es sehr entspannend und entspannt – bis auf eben diesen einen Moment:

Das Erlebnis

Ich hatte mehr oder weniger erfolgreich ein Feuer gemacht und es war dunkel geworden. Also wollte ich meinen Schlafplatz richten und habe meine Isomatte aufgepustet. Schon währenddessen hat mich ein komisches Gefühl überkommen und als ich fertig war und mich umgedreht habe, fühlte ich nur noch Panik. Ich kann mir gut vorstellen, dass es auch mit dem Atmen beim Aufpumpen zu tun hatte, ist eigentlich auch irrelevant, auf jeden Fall war ich in einem Zustand äußerster Angst.

Tausend Gedanken sind durch meinen Kopf geschossen, am stärksten die Erinnerung an meinen Aufenthalt in der Dunkelkammer, wo genau das Gleiche passiert ist. Im Nachhinein war mir klar geworden, dass es vor allem die Angst vor dem Alleinsein war, die so eine Panik(-Attacke?!) ausgelöst hat und jetzt konnte ich genau das ganz deutlich fühlen (beim zweiten Mal, als meine Kniescheibe rausgesprungen ist, konnte ich es auch viel besser wahrnehmen 🙃).

Ich stand also mutterseelenallein irgendwo im dunklen Wald vor einer kleinen Holzhütte, mein Herz raste und ich wusste nicht, was ich machen soll. Tatsächlich wäre es nicht besonders schwer gewesen, der Situation zu entfliehen, denn die Mischung aus Mondschein, Schneefall und meiner Stirnlampe sorgte für optimale Verhältnisse, um einfach zurückzulaufen. Außerdem war es noch gar nicht spät, sondern eben nur dunkel. Die Busse nach unten wären alle gefahren und hätten mich sicher mitgenommen.

All das ist mir in dem Moment klar geworden und ein Teil von mir wollte direkt losrennen. Aber was wäre der Preis, wenn ich mich der Angst wieder nicht stellen würde? Was würde als Nächstes kommen? Was würden die anderen über mich denken oder noch viel schlimmer, ich selbst? Auch wenn in diesem Moment die Angst mehr Kontrolle über mich hatte als umgekehrt (=Panik?!), wusste ich, dass ich mich ihr irgendwann stellen würde. Dass es zwar immer unangenehmer werden würde und ich es trotzdem irgendwann aus eigener Kraft schaffen werde.

Dieser Gedanke führte zu einem leichten Abebben der Angstwelle, was mir zumindest ein bisschen Luft verschaffte, um proaktiv zu werden. Im Nachhinein hört sich das folgende echt bescheuert an, aber in dem Moment war es genial:

Panikattacken 101

Schritt 1: Power Posing. Breitbeinig hinstellen, groß machen, tief atmen und lächeln. Das habe ich ein paar Minuten gemacht.
Schritt 2: Hampelmänner machen. Und zwar genau dreimal dreizehn.
Schritt 3: Urschrei loslassen. Wie in besten Ebneter Zeiten einmal alles in den Wald brüllen. Ich entschuldige mich hiermit bei allen erschrockenen Wildtieren und Wanderern. Es gibt keinen Schwarzwald-Yeti, das war nur ich.
Schritt 4: Baum umarmen. Kein Spaß. War wahrscheinlich sogar der wichtigste Punkt. Da ist das Momentum nämlich zu meinen Gunsten gekippt und ich konnte wieder klarer denken. Ich habe ihn festgehalten, als wäre ich ein Ertrinkender und er meine rettende Boje. War ja auch so. 🙂

Die Integration

Das Erste was dann kam, war Überraschung. Ich habe realisiert, dass ich zumindest mal eine Welle nicht nur überstanden, sondern so richtig durchlebt und losgelassen habe. Ein Großteil meiner Angst im Vorhinein hatte damit zu tun, dass das jetzt immer wieder passieren und ich jedes Mal wieder scheitern würde. Dass das nicht so war, war gar nicht so leicht zu akzeptieren.

Ich war mir bewusst, dass es vielleicht wiederkommen würde und ich war bereit. Falls ich noch mehr solcher Momente erleben und es eine wahre Horrornacht sein sollte, dann war es eben so. Bring it on.

Spoiler: es war total entspannt, die Angst kam nicht ein einziges Mal wieder.

Viel interessanter waren die Gedanken, die mir danach kamen. Was ist die Angst, allein zu sein? Wo kommt sie her? Denn was ich von dem Baum gelernt habe, war: Ich kann gar nicht allein sein. Er war (für mich) da.
Und was wäre, wenn da kein Baum ist? Es ist vielleicht schwerer zu halten, aber ich war nicht mehr oder weniger allein, als wenn ich mit hundert anderen Menschen zusammen wäre. Das Gleiche gilt für die Dunkelkammer, einen komplett dunklen Raum ohne Licht und Kontakt zu anderen. Da steht vielleicht kein Baum, aber ich atme immer noch den Sauerstoff und gebe Kohlenstoffdioxid ab.
Die Angst allein zu sein ist die Angst vor dem, was übrigbleibt, wenn ich alle Beziehungen zur Umwelt entferne. Und die Antwort darauf ist: Nichts.

Charles Eisenstein hat mir mal eingeflüstert: „To exist is to relate.“ Und jetzt habe ich es nicht nur kognitiv, sondern so richtig verstanden. Paradoxerweise vergrößert das die Angst nicht, sondern zaubert sie weg. Der eigentliche Kern der Angst existiert gar nicht, sie ist nur ein Gebilde, das etwas verstecken will. Und das ist die Wahrheit, dass es mich eigentlich gar nicht gibt.

Das hört sich jetzt vielleicht komisch an, aber ich bin nur ein Konzept. Ein Gebilde aus verschiedenen Vorgängen, die Dinge aufnehmen, verarbeiten, verstoffwechseln, abgeben und so weiter. Die Gesamtheit aus diesen ganzen Sachen erzeugt die Illusion, dass ich ein einzelnes, eigenständiges Wesen bin, aber wenn man der Sache auf den Grund geht, bin ich nicht zu trennen, von dem was mich umgibt. Und das, was mich umgibt, ist nicht von der ganzen Welt zu trennen.

Ich bin also nicht nichts. Ich bin alles. Legendär!

Kontext

Ohne meine Erkenntnisse schmälern zu wollen, ist es mir wichtig, sie einzuordnen: Ich habe zwar einerseits realisiert, dass es „mich“ in dem Sinne gar nicht gibt, weil ich mich nicht von allem trennen kann oder dann nichts übrigbleiben würde.
Andererseits fühlt sich Marc Gafnis Antwort auf die Frage „Who are you?“ (Öffnet in neuem Fenster) nicht weniger wahr an als davor (sondern sogar eher mehr).

Falls hier der Eindruck aufkommt, ich wüsste jetzt die Antwort auf alle Fragen, ist das nicht korrekt. Ich habe einfach nur da weitergemacht, wo ich im letzten Beitrag aufgehört habe und das „Territory of not knowing“ erforscht. Das ist auch der Ort, wo ich mich jetzt befinde und keine Ahnung habe, wie ich diesen Artikel beenden will.
Also machen wir es einfach so:

Ich bin nicht nichts. Ich bin alles. Legendär!
🤟